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Aktuelles

10.12.2024 | Beschluss

Endlich das Abstammungsrecht reformieren und Kindern aus vielfältigen Familien Rechtssicherheit geben

Nach § 1591 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist Mutter eines Kindes heute immer die Frau, die es geboren hat. Nach § 1592 BGB ist Vater eines Kindes der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist, der die Vaterschaft anerkannt hat oder der gerichtlich als Vater festgestellt worden ist. Lesbische Eltern sind von dieser Regelung ausgenommen, selbst wenn sie verheiratet sind: Die nicht-gebärende Mutter wird nicht automatisch bei der Geburt als Elternteil zugeordnet, weil sie kein Mann ist. Stattdessen muss sie ein langwieriges gerichtliches Stiefkindadoptionsverfahren inklusive Hausbesuch des Jugendamtes und Finanzprüfung durchlaufen. Bis ein Kind in einer solchen Familie gleichberechtigte Elternteile hat, können oft Jahre vergehen – mit weitreichenden Konsequenzen. Wenn beispielsweise der Geburtsmutter während der Geburt etwas zustößt, kommt das Kind als Vollwaise zur Welt. Hierin liegt eine erhebliche rechtliche Diskriminierung von lesbischen Paaren und ihren Kindern.

Gebärende trans* Männer werden als Mutter ins Geburtenregister des Kindes eingetragen, selbst wenn der amtliche Geschlechtseintrag längst männlich ist. Für trans* Frauen ist der Weg zu einer Eintragung als Mutter ebenfalls sehr schwer und nur über den Umweg der Adoption möglich. Noch offensichtlicher ist der Handlungsbedarf bei Elternteilen mit einem diversen Geschlechtseintrag.

Das deutsche Familien- und Abstammungsrecht ist also weit davon entfernt, allen Menschen und Familienmodellen gleiche Rechte und Pflichten zu übertragen. Leidtragende sind am Ende die Kinder. Der Reformbedarf dieses Rechtsgebietes ist allgemein anerkannt. Es ist Zeit, die vom Grundgesetz geschützten Familien in all ihrer Vielfalt auch rechtlich anzuerkennen. Es ist Zeit, endlich institutionelle Diskriminierungen im Familienrecht zugunsten des Kindeswohles abzubauen: Damit Kinder von vornherein mit einem Gefühl von Normalität aufwachsen und Eltern um sich haben können, deren emotionale Kapazitäten nicht durch endlose bürokratische Hürden beeinträchtigt werden. 

Unsere Forderung

Der SPDqueer-Bundesvorstand fordert daher eine Reform des Abstammungsrechts, um Kindern aus allen Familien Rechtssicherheit zu geben. Dabei ist für uns klar, dass die Geburt auch weiterhin grundsätzlich das konstitutive Moment für die Elternschaft sein soll; Vorschläge für eine Legalisierung der Leihmutterschaft haben wir als SPDqueer-Bundesvorstand an anderer Stelle gemacht. Die Bezeichnung der Eltern soll jedoch erst im zweiten Schritt, also auf der Geburtsurkunde eine Rolle spielen – abgeleitet aus dem aktuellen Geschlechtseintrag: Eine Frau wird als Mutter eingetragen, ein Mann als Vater und eine Person mit offenem oder diversem Geschlechtseintrag als Elternteil. Für die rein funktionalen Regelungen des BGB soll es die ebenfalls funktionalen Kategorien Elternteil 1 (die Person, die das Kind geboren hat) und Elternteil 2 geben (wer mit dem ersten Elternteil verheiratet ist, die Elternschaft anerkannt hat oder gerichtlich als genetischer Elternteil festgestellt wurde).

Durch die notwendige Loslösung von der binären Zuteilung der Elternrollen im Abstammungsrecht ergeben sich zweierlei Fragen, für die wir entsprechende Lösungen vorschlagen: Einerseits gibt es Fälle, in denen eine Geburtsurkunde mit den Begriffen Mutter und Vater wichtig sind - beispielsweise, weil eine solche Bezeichnung für die Betroffenen emotional unabdingbar ist oder wenn es sich um binationale Familienkonstellationen handelt und die Elternschaftsanerkennung im Ausland von einer solchen Geburtsurkunde abhängt. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, die Bezeichnung auf der Geburtsurkunde des Kindes aus dem aktuellen Geschlechtseintrag der Person abzuleiten und nur die funktionalen Kategorien des BGB geschlechtsunabhängig auszugestalten.

Außerdem stellt sich in zahlreichen Familienkonstellationen, die mit dieser Neuerung rechtssicher gefasst werden, die Frage, wie mit einer möglichen dritten Person umzugehen ist, die an der Entstehung des Kindes beteiligt ist. Hier sehen wir einen Zielkonflikt zwischen einer genetischen Nähe zu einer Person und der Elternschaft einer anderen Person qua Beziehung zum gebärenden Elternteil. Um diesen Zielkonflikt zu lösen, fordern wir die folgende Regelung: Der Standard soll auch in Zukunft die Zuordnung qua Ehe zum gebärenden Elternteil 1 bleiben – unabhängig vom Geschlecht. Auch die Möglichkeit der Anerkennung und Feststellung des zweiten Elternteils bleibt bestehen – und wird im BGB geschlechtsneutral gefasst. Darüber hinaus fordern wir im Sinne der Rechtssicherheit die Möglichkeit einer vorgeburtlichen Elternschaftsvereinbarung. Dazu müssen sich alle qua genetischer Verwandtschaft zum Kind oder qua verfestigter Partnerschaft/Ehe zur gebärenden Person potenziell infrage kommenden Elternteile darüber einigen, wer die zweite Elternrolle einnimmt. Diese Entscheidung wird dann vor der Geburt des Kindes durch das Standesamt oder notariell beurkundet.

Ein Ausblick

Für den Fall einer Familie aus Mutter, Vater und Kind ändert sich mit dieser Neuregelung im Alltag nichts: Ihre Elternschaft wird wie gehabt auf der Grundlage des BGB zugeordnet und sie bekommen auch in Zukunft eine Geburtsurkunde mit der Bezeichnung Mutter und Vater. Wenn anstelle eines Vaters eine zweite Frau als zweiter Elternteil des Kindes zugeordnet werden soll, so gilt auch hier die gewohnte Elternschaftsvermutung qua Eheverhältnis zum ersten Elternteil. Dass diese Person ebenfalls als Mutter in die Urkunde eingetragen werden kann, wäre dann unkompliziert möglich. Trans*, inter- und nicht-binäre Personen würden entsprechend der Funktion als Eltern zugeordnet und unabhängig von der Funktion entsprechend ihrem aktuellen Geschlechtseintrag in die Urkunde eingetragen werden.

Uns scheint eine solche Elternschaftsvereinbarung in der aktuellen, rechtlichen Situation ein sinnvoller Kompromiss zu sein. Perspektivisch sehen wir aber die Ausweitung des kleinen Sorgerechts sowie Regelungen für die Mehrelternschaft als eine logische und folgerichtige Konsequenz. Gerade in Regenbogenfamilien und Patchworkfamilien haben Kinder oft schon heute sozial mehr als nur zwei Elternteile und leben gut damit. Auch diese weiteren Personen sollten rechtlich anerkannt werden – nicht zuletzt, um dem Kind Rechtssicherheit zu geben. Mehrelternkonstellationen sind unter bestimmten Umständen (sogenannte „schwache Adoption“) auch heute schon möglich. Es ist also an der Zeit, diese Möglichkeit auszuweiten.