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Aktuelles

29.05.2019 | WHO striecht Transsexualität von der Liste psychischer Krankheiten

SPDqueer: Überfällige Streichung für zu suboptimaler Übergangslösung – Aktivismus bleibt notwendig

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat am vergangenen Wochenende auf ihrer Versammlung in Genf beschlossen, Transsexualität von der Liste der psychischen Krankheiten zu streichen. Die Änderungen werden mit dem neuen Kriterienkatalog des ICD-11 (International Classification of Diseases, 11. überarbeiteter Katalog) im Januar 2020 weltweit in Kraft treten.

In der aktuellen Fassung ICD-10 wird ‚Transsexualismus’ dem Bereich der psychischen und Verhaltensstörungen zugeordnet. Mit dem ICD-11 wird ‚Transsexualismus’ als mögliche Diagnose abgeschafft. Ersetzt wird sie durch den Begriff der ‚Gender Incongruence’ (geschlechtlicher Nichtübereinstimmung), der im Kapitel zu sexueller Gesundheit zu finden sein wird.

Elia Scaramuzza und Sarah Ungar, Stellvertretende Bundesvorsitzende der SPDqueer, erklären hierzu:

Dass Transsexualität im Jahr 2022 von der Liste der psychischen Erkrankungen gestrichen wird, ist für transsexuelle Menschen ein wichtiger Schritt zur Entpathologisierung. Gleichzeitig wäre es übertrieben, dies als ‚historische Entscheidung’ zu werten und die Änderung als ebenso bedeutend anzusehen wie die gänzliche Streichung von Homosexualität als Krankheit (1990). Denn obgleich Transsexualität als psychische Krankheit gestrichen wurde, bleiben Diagnosen an anderer Stelle unter anderen Vorzeichen erhalten.

„Gender Incongruence“ ist aus unserer Sicht keine Lösung, die modern und mutig genug ist, um der medizinischen und gesellschaftlichen Realität gerecht zu werden. Wir kritisieren insbesondere, das im gleichen KapitelVerweise auf Exhibitionismus, Voyeurismus und Pädophilie verortet sind und so der Eindruck eines Zusammenhangs entstehen kann. Konsequente Entpathologisierung sieht anders aus! Zudem darf eine entsprechende Verortung nicht als Argumentationshilfe für rechte Ideologien oder Wertkonservative dienen, die transsexuelle Menschen beispielsweise von gesellschaftlicher Teilhabe ausschließen wollen (siehe zum Beispiel Transgender-ban im US Militär).

Sinnvoll ist die Änderung zu „Geschlechterinkongruenz“ im ICD-11 nur insofern, als dass sie Menschen den Zugang zu Gesundheitsleistungen ermöglicht (wie Hormonbehandlung oder operative Maßnahmen), die ohne entsprechende Diagnose davon ausgeschlossen sein können. Hier zeigt sich, wie viel auch auf nationaler Ebene noch zu tun ist, um in den Gesundheits- und Sozialversicherungssystemen Leistungsansprüche für transsexuelle Menschen zu verankern, ohne einen entsprechenden ICD-Schlüssel vorweisen zu müssen.

Problematisch bleibt auch, dass Kinder und Jugendliche ebenfalls weiterhin pathologisiert werden können. Für sie wurde die Kategorie „Gender Incongruence of Childhood“ geschaffen, die es jetzt ermöglicht, ‚geschlechtliche Nichtübereinstimmung“ bei Kindern zu ‚erfassen’. Dadurch wird ein Normalitätsdruck für Kinder und Jugendliche erzeugt und es gibt die passende Diagnose, sollten sie sich nicht geschlechtlich ‚richtig’ einordnen. Sinnvoller wäre es daher gewesen, die Kategorie in Gänze zu streichen und alternative Unterstützungsmöglichkeiten zu schaffen.

Auch bleibt Intersexualität weiterhin auf der Liste der „Störungen“ und zementiert diese sogar. Für queere Communities kann dies daher keine wirkliche Verbesserung darstellen, wenn besonders marginalisierte Gruppen, die dauerhaften Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind, nicht endlich geschützt und entpathologisiert werden.

Die SPDqueer begrüßt daher die Streichung von Transsexualität als psychische Krankheit; sie weiß aber auch, dass dies nur ein erster Schritt ist und die aktuelle Lösung nur eine Übergangslösung darstellen kann. Für transsexuelle Menschen müssen weiterhin andere Abrechnungsmöglichkeiten sichergestellt werden, insbesondere auch für Kinder und Jugendliche. Genauso muss die Pathologisierung bei inter Menschen endlich aufhören. Dieser Kampf und eine eventuelle Änderung des nun beschlossenen ICD-11 wird Jahre oder Jahrzehnte in Anspruch nehmen – eine Aussicht, die viel Ausdauer erfordert, aber sich auch lohnt. Das zumindest beweist die Streichung von Transsexualität auf der Liste psychischer Krankheiten.