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Aktuelles

10.05.2019 | Zum Entwurf zur Reform des Transsexuellengesetzes

SPDqueer kritisiert: Entwurf zur Reform des Transsexuellengesetzes verschlechtert Situation

Seit Mittwoch, den 08. Mai 2019 ist der aus dem Bundesministerium des Innern (BMI) stammende Entwurf zur Reform des Transsexuellengesetzes öffentlich bekannt und liegt trans* und inter* Verbänden vor. Sofort traf der Entwurf auf scharfe Kritik aus den sozialen Medien und Verbänden. Trotz des umstrittenen Charakters der Vorlage räumt das BMI den Verbänden nur eine Kommentierungsfrist bis zum morgigen Freitag ein – nicht einmal 72 Stunden für eine seit Jahren überfällige Neuerung. Deutlicher kann die Geringwertigkeit im Empfinden des BMI gegenüber der Expertise der Betroffenen und Fachstellen nicht zum Ausdruck gebracht werden.

Hierzu erklären Petra Nowacki, Vorsitzende der SPDqueer, sowie ihre beiden Stellvertreter*innen, Sarah Ungar und Elia Scaramuzza und weitere Mitglieder der Fachgruppe Trans* für den Bundesvorstand der SPDqueer:

Der SPDqueer Bundesvorstand bewertet den Entwurf als „missraten“, „Augenwischerei“ und „schlechten Kuhhandel“. Mit Ausnahme der Reduzierung der zwei kostspieligen Gutachten auf eine kostenfreie ‚begutachtende Beratung’ bietet der Gesetzesentwurf durchgehend Verschlechterungen oder ein Festschreiben des Status Quo: (1) Trans müssen nach wie vor ein Gerichtsverfahren durchlaufen anstatt wie inter* die Änderung schlicht über das Standesamt vornehmen zu lassen, (2) Die Begutachtungspraxis bleibt bestehen, (3) Ehepartner*innen sollen zusätzlich angehört werden und in den Prozess der Namens- und Personenstandsänderung intervenieren können und (4) das Offenbarungsverbot bleibt geschwächt und der gebotene Diskriminierungsschutz z.B. im Bezug auf Fremdoutings und bei der Neuaustellung von Zeugnissen bleibt aus. Vollkommen ausgespart bleibt auch das Thema Elternschaft. Hier besteht eine allseits bekannte, hochdringliche Regelungsnotwendigkeit. Die Rechte von trans*-Eltern und Kindern sind aktuell einer grundrechtsfeindlichen Rechtsprechung beruhend auf dem TSG in der Fassung von 1981 ausgesetzt. Der Gesetzgeber verpasst hier die Möglichkeit dieser katastrophalen Familienpolitik einen wirksamen Riegel vorzuschieben.

Der SPDqueer Bundesvorstand hält den Entwurf daher für eine Verschlechterung der aktuellen rechtlichen Situation, die verhindert werden muss, und formuliert die folgenden kritischen Einwände:
(a) Aktueller TSG-Entwurf und Personenstandsgesetz: Repressive Geschlechterpolitik in DeutschlandMit der zuletzt beschlossenen Änderung des Personenstandsgesetzes wäre es möglich gewesen, Vornamens- und Personenstandsänderungen unbürokratisch und ohne medizinisch-psychiatrische Bevormundung in Deutschland für alle Menschen zugänglich zu regeln. Diese Möglichkeit wurde versäumt und stattdessen eine Änderung des Personenstandsgesetzes verabschiedet, die eine dritte Option ‚divers’ für inter Personen bei Vorlage eines ärztlichen Gutachtens (Attest) oder gegen Eid offen hält. Für trans* Personen gilt diese Option weiterhin nicht. Der vorgelegte Entwurf will die beiden Verfahren ‚angleichen’/zusammendenken und die bestehenden Regelungen des Transsexuellengesetzes in allgemeine Gesetzbücher überführen.

Während das Bundesverfassungsgericht klargestellt hat, dass es beim Geschlechtseintrag auf die selbst empfundene Geschlechtsidenität ankommt, versucht sich das Gesetz mit Hilfe einer Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe an eine sinnfreie Unterscheidung von inter* und trans* Personen zu klammern. Mit dem vorgelegten Reformentwurfwerden trans Personen gegenüber inter Personen unbotmäßig schlechtergestellt und nach wievor pathologisiert. Inter Personen werden auf körperliche Merkmale reduziert. Während inter Personen weiterhin ihren Namen/Geschlechtseintrag mit ärztlichem Attest beim Standesamt gegen eine Verwaltungsgebühr ändern können, wird trans Menschen weiterhin ein Gerichtsverfahren mit entsprechenden Kosten und ebensolchem Zeitaufwand auferlegt. Das Gerichtsverfahren als solches gilt es daher abzuschaffen und die unbürokratische Vornamens- und Personenstandsänderung als reguläre Aufgabe der Standesämter zu integrieren.

Gleichzeitig sind die personenstandsrechtlichen Regelungen für intergeschlechtliche Menschen verschärft worden: Sie fallen unter die Regelungen für transgeschlechtliche Menschen, wenn sie nicht über die medizinisch fremdbestimmte „angeborene Variation ihrer körperlichen Geschlechtsmerkmale“ (§ 45b PStG) verfügen. Inter Menschen werden zu ihrer Feststellung einer Zwangsbegutachtung ausgeliefert, indem sie ein Attest vorlegen müssen, das nur von Ärzt*innen ausgestellt werden darf. Die Definition von Intergeschlechtlichkeit ist jedoch umstritten – so entscheiden also Exper*tinnen ohne einheitlichen Maßstab, ob Personen ihre Grundrechte ausüben dürfen oder nicht.

(b) Von zwei kostenpflichtigen ‚Gutachten’ zu einer kostenlosen begutachtenden ‚Beratung’ – Kosten entfallen, Begutachtung bleibt bestehenZwar ist nicht mehr von „Begutachtung“ die Rede, doch wird trans Antragsteller*innen eine verpflichtende „Beratung“ auferlegt. Geleistet werden soll diese zum einen von denselben Personen, die bisher für die Erstellung der Gutachten zuständig waren: Psycholog*innen und Psychiater*innen, die schon mit den Gutachten nach dem Transsexuellengesetz beauftragt waren. Sowohl bei inter als auch bei trans Personen müssen die ‚Berater*innen’ über eine entsprechende Ausbildung und berufliche Erfahrung verfügen und als Beratungsstelle vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben anerkannt sein. Bei der Beratung von trans Personen kommt hinzu, dass die Berater*innen einen medizinischen, psychiatrischen und/oder psychotherapeutischen Hintergrund haben müssen. Bestehende Beratungsstellen und Selbsthilfestrukturen werden damit voraussichtlich nicht gestärkt.

Deren Machtposition als Gatekeeper, die mit überwältigendem Einfluss über den Zugang zu Maßnahmen entscheiden, bleibt daher ungebrochen. Schlimmer noch: Diese Machtposition wird noch gestärkt, weil trans Personen dadurch zukünftig dem ungebrochenen Urteil einer einzigen Person – anstelle von zwei – ausgeliefert sind.

Zum anderen bleiben die Kriterien des bisherigen Transsexuellengesetzes bestehen und sollen fortan GIBG in der „Beratung“ geprüft werden: „Sie [die betroffene Person] hat sich in der Bescheinigung darüber zu erklären, ob sich die betroffene Person ernsthaft und dauerhaft einem anderen oder keinem Geschlecht als zugehörig empfindet und mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich ihr Zugehörigkeitsempfinden zu dem anderen oder keinem Geschlecht nicht mehr ändern wird. Die Bescheinigung ist zu begründen.“ Diese Zwangsberatung führt somit die Pathologisierung von Trans* Personen fort: Sie werden als Personen behandelt, die zwingend das Tätigwerden von Ärzt*innen, Psycholog*innen oder Psychotherapeut*innen nötig haben. Die Anerkennung der selbst empfundenen Geschlechtsidentität wird durch einen Generalverdacht der Krankheit ersetzt. Zudem wird nicht einfach nur eine Beratung, um der betroffenen Person willen eingeführt. Denn dann würde eine einfache Bescheinigung ausreichen. Hier muss die Bescheinigung jedoch nach den alten TSG-Vorgaben begründet werden - es wird deutlich: Es steht Bescheinigung drauf, die alten TSG-Gutachten sind aber drin.

Die einzige Verbesserung, die durch den jetzigen Entwurf hervorgerufen würde, wäre eine kostenfreie und „auf Wunsch anonym[e]“ Beratung. Der Entwurf geht davon aus, dass mit einer Beratungszeit von vier Stunden (für trans Personen) und zwei Stunden (für inter Personen) zu rechnen ist. Die betroffenen Personen werden dadurch zumindest von den bisherigen Kosten entlastet und müssen mit einem leicht geringeren Zeitaufwand rechnen.

Doch: Wie kann von hier von einer ‚Beratung’ gesprochen werden, die offensichtlich den gleichen Inhalt zum Gegenstand hat und von den gleichen Personen durchgeführt wird wie zuvor? Wie kann hier von einer ‚Beratung’ gesprochen werden, wenn es darum geht, dass psychiatrisch-psychologisches Personal die Stabilität der Geschlechtsidentität eines Menschen prüfen und schriftlich Rechenschaft hierüber ablegen soll, bevor sie selbstbestimmte Entscheidungen über ihren eigenen Personenstand treffen dürfen? Zu vermuten bleibt, dass es hier nicht ausschließlich um das ‚Wohl von trans und inter Personen’ geht, die eine reflektierte Entscheidung fällen sollen.

(c) Anhörung der Ehepartner*innen verschärft bestehende Fremdbestimmung zusätzlichEine eindeutige Verschärfung stellt dar, dass bei verheirateten Antragsteller*innen nunmehr der*die Ehepartner*in angehört werden soll. Es bleibt völlig unklar, welchen Inhalt und welche Bedeutung dieser Anhörung beigemessen wird. Das stellt nicht nur einen gravierenden Eingriff in die Selbstbestimmungsrechte von Menschen dar, der an die bis in die 1970er Jahre gültige Praxis erinnert, dass Frauen zum Arbeiten der Zustimmung ihres Ehegatten bedurften – so als ob sie keine eigenständigen, der Selbstbestimmung fähigen Wesen seien. Es zementiert auch ein Verständnis von Ehe, bei dem eine Beziehung auf Augenhöhe nicht möglich ist, weil der Staat es erlaubt, dass der*die Ehepartner*in in das Grundrecht auf eine selbstbestimmte Geschlechtsidentität eingreifen kann.

(d) Verfahrensfehler? Verfahren gescheitert? Mit dreijähriger Wartezeit bestraftEine weitere Verschlechterung ist die Einführung einer Dreijahresfrist vor der Neubeantragung. Scheitert ein Antrag (aus irgendwelchen Gründen), wären den Antragsteller*innen daraufhin für wertvolle drei Jahre die Hände gebunden.

(e) Wirksames Offenbarungsverbot? Fehlanzeige!Ein wirksames Offenbarungsverbot, das in der Lage wäre, dieAusforschung der Tatsache effizient zu verhindern, dass eine Person eine Namens-/Personenstandsänderung vorgenommen hat, fehlt weiterhin . Es ist weiterhin keine Sanktionierung beim Offenbarungsverbot vorgesehen. Verstöße gegen das Offenbarungsverbot sollten zumindest mit Ordnungswidrigkeiten gleichgesetzt werden, doch diese Überlegung entfällt gänzlich. Bisheriger Vorname und Personenstand können so von Menschen gegen den Willen der betroffenen Person preisgegeben werden, ohne dass dies Konsequenzen hätte.

Mehr noch: Die Übertragung der Namens-/Personenstandsänderung in amtlicheDokumente, soll nur noch „bei berechtigtem Interesse“ erfolgen, „soweit dies möglich ist“. Ein Änderungsanspruch, der für trans Personen unabdingbar ist, entfällt somit. Eine Regelung für nicht-amtliche Dokumente wie Arbeitszeugnisse usw. ist gleich gar nicht vorgesehen. Trans Personen müssen damit die Gnade ihrer Arbeitsplätze, Schulen und Behörden erbitten, um Dokumente zu erhalten, die mit ihren sonstigen Daten übereinstimmen und die sie nicht in jeder behördlichen und/oder Bewerbungssituation umgehend als trans offenlegen. Diese Situation stellt das Negativbeispiel eines effektiven Diskriminierungsschutzes dar, werden doch hier – entgegen aller Empfehlungen – keinerlei Maßnahmen getroffen, sondern die aktuelle Situation zementiert bis zuweilen sogar verschlechtert, weil mit Hohn betrachtet: Änderungen werden nicht prinzipiell anerkannt, sondern sollten nur „bei berechtigtem Interesse“ erfolgen, „soweit dies möglich ist“.

(f) Rechtliche Situation für trans/inter Jugendlichem mit unkooperativen Eltern bleibt ungeklärtTrans und inter Jugendliche sind auf Unterstützung ihres Elternhauses angewiesen. Doch was, wenn ihnen diese Unterstützung verwehrt wird? Der aktuelle Entwurf sieht vor, dass Jugendliche auch nach Vollendung des 14. Lebensjahres die Zustimmung ihrer Eltern brauchen, um ihren eigenen Vornamen und ihren Personenstand ändern zu dürfen. Stimmen die Eltern nicht zu, so kann das Familiengericht eingeschaltet werden. Wie wird dann mit unkooperativen Eltern, dem Ziel des Familiengerichtes, Familien zusammenzuhalten, und dem zu achtenden Kindeswohl umgegangen? Eine rechtliche Handhabe für trans/inter Jugendliche mit unkooperativen Eltern fehlt nach wie vor; die Gefahr, dass Eltern die Vornamens- und Personenstandsänderung ihrer Kinder verbieten und das Gericht diese Entscheidung auch noch zementiert, bleibt bestehen und schwächt so die geschlechtlichen Selbstbestimmungsrechte und das gesundheitliche Wohl von Jugendlichen.

(g) Dreitägige Kommentierungsfrist: Eindruck, dass Verbände bewusst nicht gehört werden sollenSeit Mittwoch, den 08. Mai 2019 ist der hier diskutierte problematische Gesetzesentwurf zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags öffentlich bekannt und liegt trans* und inter* Verbänden vor. Das Bundesministerium des Innern räumt den Verbänden die Möglichkeit ein, den Entwurf zu kommentieren und Stellung zu nehmen – das BMI hat den Verbänden aber gleichzeitig nur eine Kommentierungsfrist bis zum morgigen Freitag eingeräumt – also viel zu kurz, um sich eingehend mit dem missratenen Entwurf, der eine Vielzahl von Gesetzen ändern will, auseinanderzusetzen. In der Gesamtheit entsteht so der Eindruck, dass die Verbände bewusst nicht gehört werden sollen. Dann nämlich würde sich herausstellen, dass der Entwurf an den Regelungsbedarfen völlig vorbeigeht, massive praktische wie menschenrechtliche Probleme aufwürft und in zentralen Bereichen Augenwischerei betreibt. Der Entwurf stellt vor allem für trans* Personen einen schlechten Kuhhandel dar, bei dem die einzige Verbesserung darin besteht, dass zwei Gutachten durch eine begutachtende Beratung mit Begründungszwang getauscht werden. Dafür sollen jetzt noch die Ehepartner*innen angehört werden und der Diskriminierungsschutz bleibt gleich mal auf einem Stand als in Deutschland schwule Männer noch strafrechtlich verfolgt wurden.

Die Vorlage eines solchen Entwurfes zu Zeiten des Europawahlkampfes und mit einer dreitägigen Kommentierungsfrist für die Verbände ist ein Schlag ins Gesicht aller Personen, die sich fachlich, persönlich und politisch ernsthaft mit der Thematik auseinandersetzen und ein menschenwürdiges Gesetz verabschieden wollen.

Nicht nur tritt der Entwurf alle Empfehlungen aus den Rechtsgutachten, das in der vergangenen Legislatur von der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Deutschen Institut für Menschenrechte im Auftrag des BMFSFJ erstellt wurde, mit Füßen. Auch schenkt das Diskussionsverfahren im Anschluss an die Veröffentlichung des Entwurfes weder den Betroffenen noch der Justizministerin, deren Ministerium an dem Entwurf mitbeteiligt gewesen sein soll, Zeit, ihn zu kritisieren – diese ist bekanntlich in Verpflichtungen rund um die Europawahlen involviert. Inmitten des Europawahlkampfes und der sehr kurzen Kommentierungsfrist muss das politische Anliegen untergehen: Das Prozedere ist damit sogar als schlichtweg undemokratisch zurückzuweisen.

Der Entwurf zeigt deutlich, dass er die im Zuge der Reform des TSG geforderten Novellierungen weit verfehlt, dafür jedoch zahlreiche Verschlechterungen unserer Situation eingefügt werden. Er ist somit rundheraus abzulehnen. Die SPDqueer solidarisiert sich mit allen trans* und inter* Personen und Verbänden, die dieser Gesetzentwurf betrifft. Wir sind nicht bereit, eine solche Politik auf dem Rücken von trans* und inter* Wähler*innen mitzutragen und verurteilen Entwurf und Verfahren auf das Schärfste. Jede Beteiligung der SPD an dieser missratenen Vorlage muss zurückgezogen und der bisherige Entwurf verworfen werden. Wir rufen alle SPD-Mandatsträger*innen und -Mitglieder in der Fraktion und den Ministerien dazu auf, den Entwurf in dieser Form nicht zu unterstützen, sondern glaubwürdig für einen sozial gerechten Gesellschaftsentwurf zu stehen, der trans* und inter* Menschen in diese Überlegungen miteinbezieht, ihre Grundrechte achtet und ihre Persönlichkeit anerkennt anstatt sie auf dem Altar einer konservativen CDU/CSU-Geschlechterpolitik zu opfern.